FAilQ
Woher kommt das Wort "Scheitern"?
Schiffbruch, Scheiterhaufen und Versagen
Scheite oder Scheiter sind zunächst gespaltene oder gebrochene Holzstücke. Das unbeabsichtigte „zu Scheitern gehen“ war zumeist das Schiff an der Klippe oder das Floß in den Stromschnellen.
Der Begriff wird aber auch in anderen Zusammenhängen verwendet. Beim Feuern im Winter pflegten Bauern mit Äxten Äste "abzuschneiden", sammelten sie auf und stapelten sie draußen an der "Holzwand"; Ketzer, Hexen und andere Verurteilte wurden lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Später nannten die Schützen ihr Gewehr wegen der Holzstange auch "Scheit".
(vgl. SPIEGEL Wissen 2015: 45)
Das Eismeer, Caspar David Friedrich
Sprichwörtlich gescheitert
kläglich scheitern
(von vornherein)
"Kläglich" kann Angst, Enttäuschung oder Schmerz ausdrückend bedeuten; oder den Erwartungen enttäuschend
TIPP: Lösung für "Kläglich Scheitern" im Kreuzworträtsel VERSAGEN (8 Buchstaben)
zum Scheitern verurteilt
Es beschreibt die Ausslichtslosigkeit einer Situation, ein hoffnungsloses Unterfangen. Ein Erfolg ist aussichtslos.
auf der ganzen Linie scheitern
"Auf der ganzen Linie" bedeutet umgangssprachlich: vollkommen, völlig, absolut; in jeder Hinsicht
(könnte) scheitern (an) (mit)
Die Möglichkeit des Scheiterns ist (fast) nie ausgeschlossen.
„Scheitern sollte als permanente Muskelübung angesehen werden.“
Die Professorin Ulrike Kerber unterrichtet an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur die "Grundlagen des Entwerfens" in der Innenarchitektur. In einem Zoom-Gespräch haben sich Ulrike Kerber und Elisa Porsche über Scheitern ausgetauscht.
Auszüge aus dem freien Gespräch sind zu einem dokumentarischen Manifest des Scheiterns im Entwerfen zusammengetragen.
Scheitern
Kann ich ohne Selbstbewusstsein und -Reflexion für die betreffende Situation scheitern? In dem Moment, in dem wir etwas aussprechen, fangen wir auch an, erneut darüber nachzudenken. Deswegen ist auch der Austausch mit einem schambehafteten Thema wie so Scheitern wichtig.
Es ist eine ganz, ganz wichtige Sache, von Fehlern zu erzählen. Je besser und anschaulicher die Geschichte erzählt wird, desto besser hab ich die Botschaft im Gedächtnis. So geschieht Wissensvermittlung
Scheitern liegt meistens im Auge des Betrachters und die Frage ist, welche Maßstäbe wir setzen.
Scheitern ist mit dem Gefühl des Schams verbunden und Ausdruck der Krise. Wir sollten unseren Wertekanon umdenken, denn ein wichtiger Aspekt des Scheiterns ist der gesellschaftlicher Umgang mit der Empathie gegenüber sich selbst und anderen.
Im religiösen Kontext ist das Motiv der Auferstehung eine Metapher für das Scheitern. Auferstehung bedeutet da, nach einer (lebens-) bedrohlichen Krise eine "neue" Person zu werden.
im Entwerfen
Im Entwerfen ist das Scheitern eine permanente Muskelübung. Wenn ein Kriterienkatalog nicht flexibel genug ist oder gar überschritten wird, kann auch nicht wirklich Neues entstehen. Der Reiz im Entwerfen ist es, den Katalog des Möglichen und Machbaren konstruktiv in Frage zu stellen.
Die oszillierenden Ränder der Dinge, die wir tun, oder machen, oder erzeugen - die bergen ja eigentlich das Potential. Meisenheimer schreibt: "Die Kreativität liegt an den Rändern." Und eben nicht in der Mitte, wo alles klar ist. ´
Dieses Randthema sollte immer wieder gesucht werden und es sollten Resonanzen ermöglicht werden, wie Hartmut Rosa sinngemäßt sagt: "Resonanz ist nur dann als Phänomen wirksam, wenn es eine wechselseitige Veränderung gibt." Scheitern ermöglicht es, Veränderungen zuzulassen und willkommen zu heißen.
Gerade in kreativen Prozessen und denen des Entwerfens ist die Reflexion ein wichtiger Bestandteil. "Worum geht es mir?" "Warum ist etwas so wie es sich aus dieser oder einer anderen Perspektive darstellt?" Auf der Suche nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten ist ein offener, weicher, experimenteller und freier Umgang und Austausch wichtig.
Das Scheitern an sich ist nicht das Problem, sondern der Umgang mit dem Scheitern! Dabei ist es existenziell für unsere Kultur. Doch leider leben wir in einem gesellschaftlichen System, in dem Richtig oder Falsch schnell eine Anknüpfung für den ganzen Menschen haben. Es besteht die große Gefahr, dass jemand das Scheitern mit zu großem Schamempfinden verknüpft und sich selbst bestraft. Die eigenen Talent und Begeisterungsfähigkeit kann dann nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
Dieses (im Interview angesprochene) Nacktstehen, sich-ausziehen, ist ein Begriff aus der darstellenden Kunst und bedeutet konkret, sich als künstlerische Person der Beobachtung und Beurteilung anderer auszuliefern. Es gibt Übungen, die dieses Erleben bewußt erzeugen damit darstellende Künstler:in, ins Arbeiten kommen. können
Aus innenarchitektonischer Sicht sind Räume ein Beziehungsgeflecht zwischen Mensch, Dingen und gebauter Umwelt. Ein Raum zum Scheitern ist in diesem Sinne vielleicht ein Beziehungsgeflecht aus Erwartungshaltungen, Grenzüberschreitungen und Reflexionen.
Scheitern in Zahlen
88
Prozent der Neujahrsvorsätze werden über den Haufen geworfen
35,8
bei so viel Prozent lag die Scheidungsrate in
Deutschland in 2019
95
Prozent der Raucher:innen scheitern an ihrem ersten Versuch Nichtraucher:in zu werden
84,5
Prozent aller Wohnungseinbrüche werden nicht aufgeklärt
Deutschland in Abbruchstimmung
(vgl. SPIEGEL Wissen 2015: 45; DHZW 2020: 1)
Definition_Eine Annäherung an das Scheitern
"Scheitern als den Verlust der Zugriffsmöglichkeiten auf soziale Strukturen als Handlungsgrundlagen."
Junge, 2004, Soziologe
(John/Langhof 2014: 12)
"Gescheitert bin ich, wenn ich meine Ziele nicht erreicht habe. Dabei macht es vorerst keinen Unterschied, ob die Ziele von außen oder von mir selbst vorgegeben worden sind. Auch nicht, ob die Gründe extern oder bei mir selbst zu suchen sind."
Burkhard Neumayer, Krisen- und Sanierungsmanager
(Vgl. Podesser 2018: 31)
"[Das Selbst wird] beim Scheitern zerschlagen. Das eigene Selbstbild ist nicht länger haltbar und muss deswegen verändert, revidiert werden. Scheitern ist mit dem Verlust von Handlungsspielräumen gleichzusetzen. Dies bedeutet, dass das Ziel nicht mehr erreicht werden kann – im Gegensatz zum Misserfolg, der das Ziel nicht komplett ausschließt."
Rüder und Schütz, 2014
(Vgl. Podesser 2018: 30)
"So bedeutet die langfristige zielgerichtete Regulation des Verhaltens, welche eben im Scheitern enden kann, nichts anderes, als sich selbst fortlaufend auf ein potenzielles Selbstbild hin zu entwerfen. Die Diskrepanz zwischen aktuellem Selbst und potenziellem Selbst beeinflusst wiederum das Erleben und motiviert das Handeln."
Rüder und Schütz, 2014
(Rüder/Schütz 2014: 265)
"[Scheitern ist] in erster Linie immer Irritation oder Problem. Bestimmte Handlungsmöglichkeiten, die bisher zum Erfolg führten, tun es jetzt nicht mehr und zwingen den/die Betroffene/n zur Reflexion oder "Untersuchung" und zum Erarbeiten einer neuen Strategie, was bestenfalls zu einer Adaption führt. Sie fassen die Phasen nach dem Scheitern mit den drei Begriffen "Irritation, Reflexion, Transformation" zusammen."
Voirol und Schendzielorz, 2014
(Vgl. Podesser 2018: 30)
Fehlerkulturen
Eine Fehlerkultur ist eine Reihe von Werten, Zielen und Praktiken, die das Lernen durch Experimentieren fördert. Der Zweck der Schaffung einer Fehlerkultur besteht darin, einen Arbeitsablauf bzw. eine Atmosphäre zu schaffen, in dem Menschen aus ihren erfolglosen Bemühungen lernen können. Die Fehlerkultur wird oft mit dem Erreichen einer "Innovationskultur" in Verbindung gebracht.
Deutschland
Jeder weiß, dass Fehler passieren, aber keiner möchte sie zugeben. Die geringe Fehlertoleranz trifft beruflich Gescheiterte, die keine zweite Chance bekommen.
Venezuela
Es wird davon ausgegangen, dass Fehler passieren. Oftmals entschuldigen sich Venezolaner nicht einmal für ihre Fehlschläge.
Frankreich
Wenn Ausländer Sprachfehler machen, zeigen die Franzosen wenig Verständnis.
Japan
Die "Fehlerkultur" wird oft mit Kaizen verglichen, der Kultur der kontinuierlichen Verbesserung in Japan.
(vgl. SPIEGEL Wissen 2015: 62 ff.)
Interview mit Juli vom Podcast "Hart aber Fail": Julia und Juli, beide Schauspielerinnen und Kulturwissenschaftlerinnen aus Hamburg, machen seit März 2020 jede Woche eine neue Podcast-Folge mit einer Gäst:in über Scheitern.
Bei einem Café-Besuch haben Juli und Elisa sich über Scheitern ausgetauscht.
STAY
TUNED
„Scheitern hat für mich gar nichts oder wenig negatives mehr.“
Scheiter
Zitate
Wir sind alle Versager.
Zumindest die besten von uns.
J.M. Barrie
Die Bestimmung unseres Lebens ist nicht der Erfolg, sondern heroisches Versagen.
Robert Louis Stevenson
Vom Miesmacher zum Mistmacher ist nur ein kleiner Schritt. Der vom Wort zur Tat.
© Gerd W. Heyse
Es gab nie einen Plan. Es gab nur eine Reihe von Fehlern.
Robert Caro
Manche Leute lassen sich von ein und demselben Problem über Jahre hinweg kaputtmachen, obwohl sie nur sagen zu brauchen: "Was soll's!".
Andy Warhol
Immer versucht.
Immer gescheitert.
Einerlei.
Wieder versuchen.
Wieder scheitern.
Besser Scheitern.
Samuel Beckett
Wer keinen Fehler gemacht hat, hat nie etwas neues probiert.
Albert Einstein
Misserfolg ist die Würze, die dem Erfolg erst sein Aroma verleiht.
Truman Capote
Ein Experte ist jemand, der in einem sehr begrenzten Bereich bereits alle möglichen Fehler gemacht hat.
Niels Bohr
Denken ist schwer.
Nicht denken ist schwerer.
Hans Aarsman
Erfolg ist die Fähigkeit, von Misserfolg zu Misserfolg zu scheiten, ohne die Begeisterung zu verlieren.
Winston Churchill (vermutlich)
Ich habe nicht versagt. Ich habe nur zehntausend Wege gefunden, die zu keinem Ergebnis führen.
Thomas Alva Edison
Wer einen Fehler begangen hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen weiteren Fehler.
Konfuzius
Zu jeder Aktion gibt es eine entgegengesetzte Reaktion.
Isaac Newton, drittes newtonsches Gesetz
Durch seine Fehler verrät sich der Mensch. Beobachte seine Fehler, dann lernst du ihn kennen.
Konfuzius
Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt.
Johann Wolfgang von Goethe
Gescheiterte Existenzen oder übler Nachruf?
Persönliches Scheitern wird durch das nicht-Erreichen eines Ziels definiert. Für gescheiterte Existenzen oder Persönlichkeiten gibt es per se keine Definition.
Trotzdem gibt es einige bekannte Gesichter, die ihre Vorhaben nicht erreicht haben oder unglücklich in ihrem Schaffen und Sein waren.
Es sind Künstler:innen vertreten, die während ihrer Lebzeiten nie Anerkennung erfuhren, kein einziges Bild verkauften.
Wissenschaftler:innen, deren Erkenntnisse erst Jahrhunderte später anerkannt worden sind.
(vgl. Gill 2020)
Samuel Beckett
Alles seit je.
Nie was andres.
Immer versucht.
Immer gescheitert.
Einerlei.
Wieder versuchen.
Wieder scheitern.
Besser scheitern.